Ein Leserbrief führte uns dazu, uns ausgiebiger der Frage zu stellen, was wir eigentlich (erreichen) wollen, wenn wir bewegungsinterne Kritik üben. Diese Frage ist überaus berechtigt und zudem bewegungsrelevant. Denn in der letzten Zeit gab es vielfach Stellungnahmen dazu, dass gewisse Gruppen „hetzen“ und „spalten“ würden. Wir sehen als Grund für diese Spannungen zum einen, dass es uns bisher scheinbar nicht gelungen ist, unsere Absichten und Werte verständlich zu machen. Zum anderen erkennen wir aber auch unterschiedliche Wert- und Strategieansätze, die scheinbar nicht miteinander zu vereinen sind.
Drei Typen der Kritik
Wir sind als Redaktion ernsthaft bemüht, sachlich und konstruktiv zu schreiben. Der Redaktion der TIERBEFREIUNG wurde in der letzten Zeit jedoch (überwiegend aus
einem bestimmten Umfeld) mehrfach „Hetze“ unterstellt. Von einigen sicherlich als Strategie, denn manchen geht es (leider) nicht um eine rationale Auseinandersetzung, um Richtigstellungen oder um
eine Argumentation, warum in dem einen oder anderen Fall besser nicht kritisiert und aufgeklärt werden sollte.
Dennoch erkennen auch wir mittlerweile, dass manche Leser_innen auch ohne strategische Absichten den Eindruck haben, wir würden tatsächlich „hetzen“. Das
Hauptargument scheint zu sein: „Tierrechtler_innen müssen zusammenhalten und den Feind nicht untereinander, sondern bei den Tierausbeuter_innen suchen!“ Andernfalls gingen Energie und Kapazitäten
verloren, was der Tierausbeutungsindustrie nutze. Der Einsatz „für die Tiere“ käme zu kurz. Warum schreiben wir also überhaupt über manche vertretenen Positionen und manch andere Organisation,
anstatt diese entweder zu unterstützen, oder aber in Ruhe zu lassen? Zu Recht steht die Frage im Raum, was wir überhaupt (erreichen) wollen.
Die Antwort ist folgende: Wir streben keine ideale und intolerante Einheitsbewegung an, sondern im Gegenteil den Erhalt einer pluralistischen, so genannten
Graswurzelbewegung. Offene, transparente Diskurse über bewegungsrelevante Positionen bedingen dies. Die Theorie wird nicht den Vereinsbossen überlassen, die „top down“ (also zentral und von oben
nach unten) die Kampagnen organisieren und die Richtung der Bewegung vorgeben oder zumindest dominieren. Sondern die Bewegung wird „bottom up“, also von der Basis ausgehend, bestimmt.
Jene, die von „Spaltung“ und „Hetze“ reden, sollten bezüglich dessen beurteilt werden, was sie inhaltlich gegen die veröffentlichte Kritik – vor allem, wenn bewegungsrelevante Strukturen und nicht Einzelfälle kritisiert werden – zu erwidern haben, und ob sie nicht ihrerseits durch unsachliches Polarisieren versuchen zu spalten. Weil es ihnen einfach nicht in den Kram passt, wenn die Basis und die Medien sie kritisch beäugen.
Wenn Kritik aufkommt, sollte sie richtig typisiert werden. Denn Kritik ist nicht gleich Kritik. Und Hetze, also destruktive, unausgegorene, unsachliche und auf Ideologien gründende „Kritik“, ist eigentlich etwas Anderes als Kritik, das auch wir ablehnen. Zurück zur eigentlichen „Kritik“: Es macht einen Unterschied aus, ob jemand gegen gewisse Andere wettert, weil diese ihm einfach nicht „ideal“ genug oder sogar in ihrer Einstellung verwerflich erscheinen. Hier könnte man von einem persönlichen Ideal reden. Oder aber, weil es in den Augen einer kritisierenden Person schädlich für die Bewegung ist, mit gewissen Anderen (aufgrund deren Einstellungen oder Strukturen) zu kooperieren. Hier sollte von einer kritischen Graswurzelbewegung geredet werden. Das eine wäre, ein persönliches Ideal durchzusetzen. Etwas Anderes, die Theorie ins Reine zu bringen und Widersprüche aufzulösen. Oder gewisse Fehler und Tendenzen zu verhindern (zum Beispiel die Kooperation mit Nazis).
Wir wünschen uns als Redaktion von der Bewegung ein kritisches Bewusstsein über den Sachverhalt, ob es sich im jeweiligen Fall um Hetze oder um Kritik des Typs 1 oder um Kritik des Typs 2 handelt. Zum kritischen Denken sind alle einzeln aufgerufen: Sind die Hetz-Vorwürfe berechtigt? Oder hetzt und spaltet da jemand seinerseits, um der rationalen Auseinandersetzung zu entgehen? Ich glaube, dass eine Graswurzelbewegung nicht umhin kommt, auch selbstkritisch zu sein. Wenn dominierende Köpfe einer Bewegung interne Kritik zugunsten einer breiten Einheitsmasse auszuhebeln versuchen (weil sie ihrerseits ihre eigenen persönlichen Idealvorstellungen verwirklichen wollen), dann verschiebt sich die Bewegung von einer kontrollierenden hin zu einer kontrollierten. Soll sich die Tierrechtsbewegung von einer Allianz für Tierrechte oder der Leitidee des Vereins gegen Tierfabriken führen und verweichlichen lassen, um effektiver Tierschutz (!) betreiben zu können? Jene, die Spaltung und Hetze in der Bewegung zu Recht nicht haben wollen, sollten ein kritisches Bewusstsein dafür entwickeln, ob manche Kritik nicht doch berechtigt und wichtig ist. Selbst wenn sich schwer ausmachen lässt, was die richtige Theorie und Strategie sind, so lässt sich doch leichter klären, welche Theorien und Strukturen mit dem Tierrechtsgedanken nicht vereinbar sind.
Herrschaftskritik: unverzichtbar
Die Herrschaftskritik allein führte dazu, dass sich eine Tierrechtsbewegung (entgegen der bestehenden Tierschutzbewegung) etablierte. Die prinzipielle, rationale
Ablehnung der Tierausbeutung trat als neues Paradigma dem Mitleid und dem Fürsorgepflichtgefühl entgegen. Der neue Ansatz richtete sich nicht mehr primär gegen die Grausamkeit und
Verantwortungslosigkeit, die Tieren zugemutet werden, sondern gegen das generelle Unrecht der Unterdrückung und Ausbeutung, der ideologischen und strukturellen Herrschaft über nicht-menschliche
Tiere. Ein Problem der Tierrechtsbewegung besteht nun darin, wenn das alte Paradigma, die Verringerung von Tierleid, nun wieder als (strategisches) Ziel losgelöst über allem anderen stehen soll
und die Herrschafts-/Unterdrückungsstrukturen nicht mehr als eigentliches Problem erkannt oder angegangen werden. Welche Ziele und Werte verfolgt nun die Tierrechtsbewegung? Der emanzipatorische
Teil der Tierbefreiungs-/Tierrechtsbewegung setzt sich für eine soziale Welt ein, in der es keine strukturelle Gewalt mehr geben soll – nicht gegen nicht-menschliche Tiere, aber auch nicht gegen
Menschen. Herrschaftsfreiheit ist sicherlich ein Ideal, das wahrscheinlich nicht erreicht werden kann. Doch diese Tatsache spricht überhaupt nicht gegen die Orientierung an diesem Ideal.
Herrschaftskritik: unteilbar
Der Begriff „Speziesismus“ wurde zur Kennzeichnung einer weiteren Diskriminierungsform neben (vor allem) Rassismus und Sexismus
entwickelt. Die Verurteilung der Diskriminierung und Unterdrückung von nicht-menschlichen Tieren zieht all ihre Stärke aus der Verurteilung der Diskriminierung und Unterdrückung von Menschen
anderer Gruppen als der herrschenden. Dadurch ergibt sich konsequenterweise folgende universalisierte Einstellung: Diskriminierung und Unterdrückung sind an sich zu verurteilen und zu bekämpfen,
zumindest aber nicht zu fördern. Sich nur für „Tier“rechte einzusetzen und der Unterdrückung und Respektlosigkeit gegenüber menschlichen Tieren gleichgültig gegenüber zu stehen, ist inkonsequent.
So wie es keine Doppelmoral zugunsten von Menschen mehr geben soll, soll auch keine Doppelmoral zugunsten von nicht-menschlichen Tieren (und einigen Menschen) toleriert werden. Tierrechte zu
fordern sollte einen strikten Gleichheitsgedanken mit sich bringen, das heißt: Kein empfindungsfähiges Wesen sollte diskriminiert und unterdrückt werden.
Wer sich kritisch mit dem Universellen Leben (UL) auseinandersetzt und halbwegs „emanzipatorisch“ (also zumindest gegen Unterdrückungs-, Macht- und Ausbeutungsstrukturen, Intransparenz und Lügen) eingestellt ist, wird sich sicherlich der Meinung anschließen, dass mit dem UL nicht kooperiert werden sollte, um sie nicht durch soziale Anerkennung zu fördern. Genauso wenig mit Neonazis, (selbst) wenn diese die Tierrechtsidee vertreten. Denn dadurch würde man Strukturen und Organisationen fördern, die man als emanzipatorisch eingestellter Mensch nicht haben, sondern im Gegenteil abgeschafft sehen möchte.1 Das UL zu dulden, würde deren sozialer Anerkennung und Strukturen Vorschub leisten.2
Dann gibt es aber Menschen und Organisationen, die „dennoch“ mit diesen beiden Gruppen zusammenarbeiten wollen. Manche machen sich kaum Gedanken darüber, ob dies richtig ist. Vielleicht, weil die Zusammenhänge noch zu intransparent und noch zu wenig in der Diskussion stehen. Andere meinen, sie würden auch mit Nazis zusammenarbeiten, wenn diese etwas „für die Tiere“ machten. Denn allein darauf käme es an. Eine Bewegung, die sich so verhält, ist dann aber keine emanzipatorische mehr. Sie zeigt dann zum Beispiel nicht mehr deutlich, dass sie das Patriarchat abschaffen möchte, also die Herrschaft einer Gruppe über andere „Gruppen“ (wie die der Frauen, der jüdischen Menschen, der nicht-menschlichen Tiere...). Wer die Herrschaft gegen Tiere ablehnt und den Gleichheitsgedanken hochhält – vielleicht sogar eine „unteilbare Moral“ oder die These, dass Menschen auch Tiere wären –, wird konsistenter Weise keine Unterdrückung von menschlichen Tieren tolerieren dürfen. Es reicht nicht, selbst keine anderen Menschen zu diskriminieren. Sondern auch die Kooperation mit jenen (und damit die Förderung deren Strukturen), die ihrerseits Menschen unterdrücken, müsste eingestellt werden. Das ist von jenen, die einen „Change“, eine bessere Welt anstreben, nicht zu viel verlangt. Wer nachweislich andere empfindungsfähige Wesen (also auch Menschen) ausbeutet, unterdrückt, diskriminiert, anlügt – wer also andere beherrschen möchte und sich nicht davon abbringen lässt – ist selbst Teil des Problems „Wie kann die Welt besser werden?“ und sollte daher zumindest gemieden werden. Wer gemeinsam mit Nazis für Tierrechte marschiert und mit ihnen öffentlich über Tierrechte redet, hat nicht verstanden, worum es mittlerweile eigentlich geht. Einem größer werdenden Teil der Tierrechtsbewegung geht es schon lange nicht mehr nur um „Tierrechte“ im engen Sinne, sondern um Tierrechte und Tierbefreiung im umfassenden, ursprünglichen und unverzichtbaren: Es soll keine Unterdrückung und Herrschaft mehr gegen empfindungsfähige Wesen geben.
»Bei der Frage, ob man mit Nazis zusammenarbeiten sollte, handelt es sich nicht um eine Geschmacksfrage oder eine linke Weltanschauung.«
Marschieren mit Unterdrücker_innen?
Wer dies soweit richtig findet, sollte nun einen Schritt weiter denken. Die Tierrechtsbewegung hat sich nicht wirklich vom Universellen Leben (UL) distanziert.
Irgendwann wird sich dieses für eine Befreiungsbewegung schädliche Verhalten empfindlich rächen. Das ist mehr als ein Schönheitsfehler. Der Tierrechtsbewegung wird von einigen Seiten vorgeworfen,
dass sie im Schulterschluss mit totalitären Sekten und Nazis steht. Warum müssen nun „immer wieder diese unsäglichen UL-Sachen aufgewärmt werden“, wurden wir gefragt. Ich finde sie eigentlich
auch vollkommen überflüssig. 2002 hätte bereits ein Schlussstrich gezogen werden können, als Andreas Hochhaus in der VOICE einen langen Artikel zum UL veröffentlichte und meines Wissens nach auf
die erschütternden Vorwürfe (unter anderem Ausbeutung, Einschüchterung und systematische Entpersönlichung von Angehörigen) keine angemessene inhaltliche Erwiderung seitens des ULs kam (was doch
entweder einem Streben nach Intransparenz, oder einem impliziten Schuldeingeständnis gleichkommt), statt dessen aber Belastendes hinzukam. Wenn ein Gericht urteilt, dass „die Lehre der
Glaubensgemeinschaft in erheblichem Maße der Wertordnung des Grundgesetzes widerspricht, da sie ein deutliches Spannungsverhältnis zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht aufweist, das in jedem
Einzelnen einen autonomen Bereich privater Lebensgestaltung sichert, in dem er seine Individualität entwickeln und wahren kann“, sowie „gewichtige Einschränkungen“ bei der persönlichen Entfaltung
der Anhänger_innen des Universellen Lebens als gegeben und bewiesen ansieht, dann ist das etwas, das als Vorwurf nicht übergangen werden darf. Eine inhaltliche Klärung hätte alles beschleunigen
und die Bewegung vor viel Streitigkeit und einer Spaltung bewahren können. Fast ein Jahrzehnt später ist aber immer noch nicht viel geklärt und zurückgewiesen. (Belegte) Vorwürfe stehen immer
noch nicht zurückgewiesen im Raum. Dennoch drehen viele Menschen in der Bewegung die Intransparenz und Unklarheit zu Gunsten des ULs. Keine richtige Diskussion, kein Schuldeingeständnis, also
keine Schuld. Und sie tun doch auch so viel für die Tiere. Es ist mir unverständlich, dass manche Menschen und Organisationen nicht auf die Inhalte und Gründe der Distanzierungen vom UL eingehen,
sondern lediglich von „Hetze“ reden und ansonsten so tun, als würde nichts inhaltlich Bedenkliches im Raum stehen. Inhaltlich wird auf die Vorwürfe und Recherchen einfach nicht angemessen
reagiert. Dabei scheinen der Schreibstil und das Motiv (ob also sachlich-konstruktiv/kritisch-relevant oder tatsächlich hetzerisch) nicht einmal ausschlaggebend zu sein. Nun sind die
Kritiker_innen schuld, wenn sie wiederholt dieselben – unbeantworteten – Fragen und Vorwürfe in den Raum stellen – nicht zuletzt, um die Relevanz zu verdeutlichen und sich gegen den Vorwurf der
Hetze zu verteidigen. Wer trägt nun eigentlich mehr Schuld an den Streitigkeiten und der drohenden Spaltung, die Fragenden oder die den Diskurs Verweigernden?
Unterschiedliche Werte?
Vielleicht müssen wir es aber auch ernst nehmen und als Entscheidung „respektieren“, wenn ein Teil der Bewegung sich für die Zusammenarbeit mit Nazis etc. einsetzt.
Vielleicht geht es wirklich nicht anders, und es bedarf tatsächlich einer klareren Trennung der Bewegungen in eine emanzipatorische und eine, die sich lediglich „für die Tiere“ einsetzt. Es
stellt für manche keinen Widerspruch dar, wenn man sich zum Beispiel für die Befreiung der Frauen einsetzt, zugleich aber rassistisch eingestellt ist. Wer wollte es der Frauenbefreiungsbewegung
aber nun vorhalten, wenn sie eine rassistische Organisation aus ihren Reihen ausschlösse, weil sie die Werte und inneren Strukturen dieser Organisation als unvereinbar mit den emanzipatorischen
Ansichten der Frauenbewegung ansieht? Jenen wirklich emanzipatorischen Gruppen, die rassistische Gruppen in einer gemeinsamen emanzipatorischen Bewegung nicht tolerieren wollen, kann man es
sicherlich nicht vorwerfen, wenn sie dies zu einem gravierenden Problem erklären und nicht nachgeben. Selbst wenn dadurch die Bewegung an Breite verliert. Es lassen sich ohnehin unmöglich alle
Gruppen einer Gesellschaft miteinander vereinen. Manchmal muss man sich entscheiden, ob man lieber mit Täter_innen oder lieber mit Herrschaftskritiker_innen und auch Opfern marschieren will. Für
mich und viele andere ist es vollkommen inakzeptabel, mit Nazis etwas Gemeinsames zu machen. Die wollen etwas anderes als ich. Egal, was sie sonst so wollen. Da gibt es etwas Entscheidendes, das
uns voneinander trennt. Ich möchte nicht nur ein Ende der Tierausbeutung, sondern zudem ein Ende von Unterdrückung und Diskriminierung an sich. Also auch die gegenüber Menschen. So komme ich von
dem Gedanken „für die Tiere“ zum anderen, erweiterten: Herrschaftskritik ist unteilbar, Unterdrückung ist an sich schlecht, gleich ob gegen Tiere, jüdische Menschen, Ausländer_innen, Angehörige
einer Glaubensgemeinschaft etc.
Das Wasser eines vergifteten Brunnens ist nun nichts wert. Entweder lehnt eine soziale Bewegung konsequent (alle) anti-emanzipatorischen Strukturen ab und duldet
diese nicht in ihrem Umfeld, oder sie ist selbst nicht emanzipatorisch. Bei der Frage, ob man mit Nazis oder dem UL zusammenarbeiten sollte oder nicht, handelt es sich nicht um eine
Geschmacksfrage oder eine linke Weltanschauung, die intolerante Linke durchsetzen wollen, sondern um eine logische: Findest DU die Unterdrückung und Ausbeutung (an sich) tolerierbar?
Tierschutz = Tierrechte?
Die Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung muss sich nicht nur gegen anti-emanzipatorische Gruppierungen mit „Querfront-Strategien“ (siehe Titelstory aus Heft 67)
behaupten, sondern (zweitens) auch von der Tierschutzbewegung absondern. Denn es sind zwei eigentlich miteinander konkurrierende Bewegungen. Tierschützer_innen geht es um bessere
Haltungsbedingungen, um verschärfte Gesetze, um Reformen, nicht jedoch um die Forderung der Abschaffung von Tierausbeutung. Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen geht es um die Befreiung der
Tiere aus dem Herrschaftsverhältnis und -verständnis des Menschen. Tierrechtler_innen geht es zusätzlich darum, nicht-menschlichen Tieren in einem Rechtssystem Rechte zu ermöglichen, die sie vor
der Ausbeutung schützen.
Manche haben vordergründig das Ziel, jetzt und zwar merklich das Tierleid in unserer Gesellschaft zu verringern. Andere haben das Ziel, die Gesellschaft langfristig
und gründlich zu revolutionieren. Das sind zwei unterschiedliche strategische Herangehensweisen, die miteinander konkurrieren. Erstere werfen letzteren vor, unrealistische Ziele zu haben.
Andersherum lässt sich erwidern, dass ausgearbeitete Tierschutzgesetze es erschweren könnten, letztendlich die Abschaffung der Tierausbeutung zu erreichen. Wenn die Tierrechtslobby an den
Ausbeutungsgesetzen reformistisch mitwirkt und dafür von einer breiten Bewegung unterstützt wird, dann schafft sie sich als solche selbst ab.
Einheit statt „Denunziation und Aufsplitterung“?
Eine häufig vernehmbare Forderung ist: Wir sollten als eine Bewegung zusammenhalten, anstatt durch Aufklärung und Abgrenzung das eigene Nest zu beschmutzen und zu
zersplittern.
Der Text „Denunziation und Aufsplitterung in der Tierrechtsbewegung“3 wendet sich gegen Denunziationen und Grabenkämpfe innerhalb der Tierrechtsbewegung, selbst
dann, wenn sie inhaltlich berechtigt sind. Einzelfälle (Handlungen oder Äußerungen) von Personen oder Gruppierungen sollten nicht angeprangert werden, denn dies führe dazu, dass die Bewegung
auseinander- oder sogar zusammenbricht. Häufig beruhten die Denunziationen auch auf Gerüchten oder auf Interpretationen von etwas Uneindeutigem. Zugegeben: In der destruktiven (Einzel-)Kritik
besteht eine Gefahr. Manche Einzelvorkommnisse sind unbedeutend und haben keinen strukturellen Charakter. Und oft sind sie nicht so beabsichtigt, wie ihnen vorgeworfen wird. Ohne einen
bewegungsrelevanten Rahmen und Relevanz wäre Kritik in solchen Fällen tatsächlich mit Profiliersucht gleichzusetzen und entspräche der Kritik des Typs 1 (Verfolgung persönlicher
Ideale).
Für die Kritik an Strukturen und Positionen (und eben nicht an Einzelfällen) gilt dies jedoch nicht. Diese zu erkennen, transparent zu machen und der Diskussion zu
stellen, sehen wir als unsere Aufgabe an. Schaden Transparenz und Diskurs wirklich?
Im Kapitel „2.4 Erklärungsansätze für die Phänomene“ des Textes werden die Bewegungen in England, Deutschland und Österreich miteinander verglichen. In England hätten wir eine hohe Toleranz innerhalb der Tierrechtsbewegung und viel Aktivismus. Aufgrund des Klassenkampfes aber auch eine strikte Trennung vom Aktivismus (der Arbeiterklasse) und dem politischen Lobbyismus (der großen Vereine). In Deutschland hätten wir eine sehr geringe Toleranz untereinander und wenig Aktivismus. Außerdem ein falsches Feindbild und Denunziation. Es sei nicht gut, wenn sich (wie in Deutschland) zu viele an der Theorie beteiligten. Denunziation und Spaltung seien hier vorprogrammiert. Und in Österreich? „In Österreich könnten wir von den EngländerInnen lernen, wie wichtig Zusammenarbeit, Toleranz und Aktivismus ist. Aber wir können auch sehen, wie unnötig ein Streit zwischen großen Vereinen und kleinen Gruppen ist. Immerhin sind wir in Österreich gesetzlich und in der durch Prozesse erkämpften Judikatur weiter, sowohl als in England (wenn auch nur knapp), als auch in Deutschland. Das zu erkennen ist an sich schon Theoriearbeit und wichtig. Auf der anderen Seite zeigt uns das Beispiel Deutschland, wohin ein Schwerpunkt von Theoriearbeit führt.“ Als soziale Bewegung solle man „zunächst einmal und vorrangig aktiv [...] sein. Das ist das Wichtigste. Zweitrangig sind die Fragen gegen was konkret, auf welche Weise und mit wem.“
Am besten sei es also, wenn sich wenige Menschen mit der Theorie beschäftigten und/damit umso mehr bei den Aktivitäten dabei sind. In Österreich dominiert eine gewisse Theorie und Strategie die Bewegung, die von manchen nicht einmal als „tierrechtlerisch“ angesehen wird. Vor allem über politischen Lobbyismus und Druck gegen die Wirtschaft sollen höhere Tierschutzstandards durchgesetzt werden, damit Tierausbeutungsprodukte teurer und somit weniger konsumiert werden. Viele Tierrechtler_innen halten diese Strategie für relativ untauglich für das Ziel der Abschaffung der Tierausbeutung. Gary Francione ist seit einigen Jahren ein vehementer theoretischer Gegner dieser Position. Er äußerte sich 2002 in einem Interview4 folgendermaßen: „Meiner Ansicht nach sollten wir Tierversklavung abschaffen und nicht danach streben, eine inhärent unmoralische Einrichtung zu reformieren.“ und „Wir haben bis heute in den meisten westlichen Ländern seit über hundert Jahren Tierschutzgesetze gehabt, und sie haben wenig dafür getan, das Leiden der Tiere zu verringern, und sie haben mit Sicherheit nicht zu einer allmählichen Abschaffung irgendwelcher Praktiken geführt.“ Das sind zwei (theoretische) Gründe, die Francione als „Abolitionist“ (also als „Abschaffer“ der (Tier-)Ausbeutung) den „Reformern“ entgegenhält. Aber erinnern wir uns: Der österreichische Autor möchte, dass 1) wenige Leute das theoretische Denken übernehmen, 2) viele Leute bei den (Tierschutz-)Aktionen mitmachen, anstatt zu nörgeln. Der Aktivismus würde sie schon miteinander verbinden. Soll nun eine von oben diktierte Tierschutz(!)-Strategie von unten, also von der Tierrechts(?)-Bewegung, getragen werden? Ich glaube, so sehr manche Österreicher_innen auch ihre Theorie als „die“ Theorie ansehen mögen: Sie ist es nicht. Die Gegenposition ist mindestens (...) genauso gewichtig. Sie besagt: Der Tierschutz-Ansatz, Tierleid durch Reformen schrittweise zu verringern und die Tierschutzstandards allmählich anzuheben, ist nicht der Ansatz, den Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen befolgen (sollten), denen es um die Abschaffung der Tierausbeutung geht. Das ist berechtigte und wichtige elementare Kritik und mehr als nur kleinliches Nörgeln. Die in Österreich dominierende Strategie, mit der Tierausbeutungsindustrie und Politik zu verhandeln, um höhere Standards der Tierausbeutung zu erlangen, entspricht nicht jener Strategie, die Tierrechtler_innen und Tierbefreier_innen befolgen, wenn sie mittels Argumenten das kollektive Bewusstsein der Gesellschaft oder das Bewusstsein Einzelner anzugreifen versuchen, damit diese sich von der Ideologie der legitimen Tierausbeutung verabschieden. Wir haben hier einen ernsten, theoretischen Konflikt, der nicht einfach mit gemeinsamem Aktivismus abzuhandeln ist.
Natürlich ist es im Interesse einer großen Organisation, kleinere Gruppen dadurch lenken zu können, dass man aufgrund der bestehenden Erfahrung, Strukturen und Eignung die Theoriearbeit übernimmt und den Kurs von Kampagnen, in der Summe aber auch die Richtung der Bewegung vorgibt. Vielleicht funktioniert dies in Deutschland nicht so gut, weil wir hier eher eine Graswurzelbewegung sind, die sich nicht von oben lenken lässt, sondern eigene, unabhängige Zellen bildet, die miteinander stark vernetzt sind.
»Ich kann nicht verstehen, wie man innerhalb einer sozialen Bewegung den offenen Diskurs kritisieren kann, anstatt ihn und damit die Mündigkeit ihrer Mitglieder zu fördern.«
Missverständnisse
Es werden gravierende Missverständnisse deutlich. Der Text „Denunziation und Aufsplitterung in der Tierrechtsbewegung“ würdigt weder die (auch intern kritische)
Graswurzelbewegung in Deutschland, noch den Sinn einer offenen und transparenten Gesprächskultur, die auch zur Distanzierung und Ausgrenzung führen kann. Zwischenzeitlich scheint zudem der
Begriff „Theorie“ mal Theorie im Gegensatz zum Aktivismus zu meinen, dann aber auch mit „Denunziation“ gleichgesetzt zu werden. Der Autor des Textes unterstellt den Deutschen die „Vision der
reinen Elitetruppe, die im Gleichschritt in dieselbe Richtung geht“. Er spricht von Ideologie, Anpassungsdruck und einem „Denunziationsklima“ in Deutschland, während es an Toleranz gegenüber
Andersdenkenden fehlen würde.5
Einem anderen Missverständnis sollte ebenfalls vorgebeugt werden: Dass der Autor des Textes auch für Menschenrechtsverletzungen Toleranz fordere. Das tut er nicht.
Allerdings relativiert er diese und gibt als eine Handlungsmöglichkeit vor, dennoch miteinander zu kooperieren. So schreibt er: „Natürlich gibt es eindeutige Menschenrechtsverletzungen, darüber
sind wir uns einig. Und diese Menschenrechtsverletzungen dürfen nicht toleriert werden. Aber es gibt eben auch [...] einen Graubereich, in dem nicht so klar ist, was unterdrückend ist und was
nicht.“ und „Die Einsicht, dass es keine ideale, nicht-unterdrückende Gesellschaftsform zu geben scheint, zwingt zu erhöhter Toleranz gegenüber anderen Weltanschauungen. Das gilt umso mehr
innerhalb einer sozialen Bewegung wie der Tierrechtsbewegung. Intoleranz und Ausgrenzung gegenüber jeder noch so rein prinzipiell als menschenrechtsfeindlich und unterdrückend definierten
Handlung oder Aussage einer Person, bedeutet letzten Endes, dass wir alle nicht toleriert werden dürften und ausgegrenzt werden müssten. In irgendeiner Form sind wir alle menschenrechtsfeindlich
und unterdrückend, das ist unvermeidbar.“ Ich behandle den Text nicht, weil ich ihn besonders gelungen finde. Sondern weil er die hier relevanten Themen anführt und behandelt:
Menschenrechtsverletzungen, Dominanz in der Theorie, Art der Bewegung und die Tierschutz-Problematik.
Der Wert der Kritik
Es ist eigentlich selbstverständlich für (theoretisch) denkende Menschen, die Meinungen Anderer zu hinterfragen und deren Theorien und Einstellungen gegebenenfalls
auch zu kritisieren. Mündige Menschen äußern dann auch ihre Bedenken, selbst wenn kritisches Denken von der Maschinenarbeit abhält und zunächst einmal sogar Sand ins Getriebe wirft. Ich kann
nicht verstehen, wie man innerhalb einer sozialen Bewegung den offenen Diskurs kritisieren kann, anstatt ihn und damit die Mündigkeit ihrer Mitglieder zu fördern. Selbstverständlich behindert
jede Debatte (zumindest indirekt durch Kapazitäten-Umverlagerung) den Aktivismus. Aber auch eine gut geführte Diktatur verläuft fließender, reibungsloser, mit weniger Spannung als andere Formen
der Gesellschaftsordnung. Wenn nur wenige das Sagen haben und die Machtanteile weitgehend einseitig verteilt (oder zumindest kontrolliert) sind, dann verliert man natürlich kaum Zeit mit Debatten
und Umstrukturierungen und hat entsprechend Zeit für Aktivismus.
Manchen reicht natürlich das Mitlaufen. Andere möchten ihre eigene Theorie gegen die Theorien Anderer behaupten, weil sie glauben, dass ihre besser sei. Dritte möchten grundsätzlich die Möglichkeit haben, nicht nur passiv-aktivistisch an der Bewegung teilzuhaben, sondern sich mit eigenen Ansichten in Debatten einbringen zu können. Das geht aber nur, wenn der Diskurs offen und willkommen ist, Transparenz geschaffen und Veränderungen möglich und erwünscht sind.
Kritik, beziehungsweise die kritische Auseinandersetzung, muss nicht destruktiv und auch nicht „denunziatorisch“ sein. Sie kann auch konstruktiv sein und sowohl Widersprüche als auch bewegungsrelevante Unterschiede in den Ansichten aufdecken. Eine Bewegung muss nicht einheitlich auftreten. Manche Unterschiede in den Ansichten sind allerdings so gravierend, dass gefragt werden muss, ob es sich noch um eine Bewegung mit gemeinsamen Zielen und Ansichten handelt, die miteinander vereinbar sind, oder um bereits voneinander losgelöste Bewegungen.
Stehen alle, die sich „für die Tiere“ einsetzen, „auf der gleichen Seite“, so dass die Kritik an anderen tatsächlich kleinlich ist? Francione 2002 dazu: „Peter Singer und Ingrid Newkirk beklagten sich kürzlich, dass ich ihre Ansichten angriff, obwohl wir jedoch alle ‚auf der gleichen Seite‘ stünden. Wenn es etwas gibt, dessen ich mir sicher bin, dann, dass ich nicht ‚auf der gleichen Seite‘ wie Peter und Ingrid stehe. Unsere Ansichten sind sehr unterschiedlich. Unsere Ziele sind sehr unterschiedlich. Wir brauchen mehr Uneinigkeit innerhalb der Bewegung, nicht weniger. Und wir sollten keine Angst davor haben, als ‚spalterisch‘ bezeichnet zu werden. Das ist die Bezeichnung, die diejenigen gebrauchen, die nichts Substanzielles auf legitime Kritik und Beobachtung antworten können.“ Und: „Nicht mit den Ansichten anderer übereinzustimmen, bedeutet nicht, ‚spalterisch‘ zu sein. Ich stimme mit den Tierschützern nicht überein. Ich betrachte Tierschutz als ineffektiv und kontraproduktiv.“
Die eigene Sache
Was „die eigene Sache“ sei, die jeden von uns antreibt, ist vielleicht der Knackpunkt. Ob einzig „für die Tiere“ zusammengearbeitet werden sollte, oder ob mehr zum
gemeinsamen Nenner gehören muss. Wir als Redaktion der TIERBEFREIUNG wollen keine Einheitsmeinung durchsetzen, sondern veröffentlichen auch Meinungen / Artikel, denen wir inhaltlich nicht
zustimmen, sofern sie argumentativ stark, konstruktiv und interessant für die Bewegung sind. Meine persönlichen Vorstellungen, wie sich die Bewegung orientieren sollte, unterscheiden sich auch
noch mal von dem, was ich als wichtige Grundlage für die Bewegung ansehe. Ich wünsche mir Transparenz, Redlichkeit, Diskursoffenheit und Rationalität. Als grundlegend (!) sehe ich jedoch die
Ablehnung von Herrschaft (Unterdrückung) gegen menschliche und nicht-menschliche Tiere an. Das beinhaltet die Ablehnung der Tierausbeutung ebenso wie die Ablehnung von Entpersönlichungsstrukturen
beim Universellen Leben oder von Mobbing in der Tierschutzpartei. In der sachlichen Mail an uns heißt es: „Man muss ja nicht in allem einer Meinung sein, aber es ist doch die gleiche Sache, für
die wir kämpfen!“ Ich habe versucht, zwei Antworten darauf zu geben: Zum einen können inhaltlich so gravierende Unterschiede in den grundlegenden Zielen, Ansichten und Strategien bestehen, dass
von einer „gleichen Sache“ kaum noch die Rede sein kann. Ein Beispiel ist, ob man sich primär für Tierschutzreformen einsetzen darf, wenn man eigentlich etwas ganz anderes möchte, nämlich die
Verurteilung und Abschaffung der Tierausbeutung. Zum anderen steht im Raum, wie viel wir mit Menschen und Organisationen gemein haben, die sich zwar für die Abschaffung der Tierausbeutung
einsetzen, dafür aber die Mitglieder der eigenen oder einer fremden Gruppe einschüchtern, entpersönlichen und ausbeuten. Wer Herrschaftsstrukturen gegen nicht-menschliche Tiere ablehnt, diese
aber gegen menschliche Tiere selbst vollzieht, disqualifiziert sich als Kooperationspartnerin für mich, da sie nicht „meine Sache“ fördert, sondern dieser schadet: Die Welt etwas besser zu machen
und von Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen zu befreien. Die Sache vieler in der Tierrechts-/Tierbefreiungsbewegung ist es, die Welt strukturell zu verbessern. Kaum jemand, die sich für
Tiere einsetzt, wird sich hinstellen und sagen: „Extreme Kinderarmut, Verschleppung, Völkermord oder Zwangsprostitution sind mir schnuppe, ich will nur, dass es den Tieren besser
geht.“
Es geht nicht nur um die Befreiung der Tiere aus dem Herrschaftsverhältnis. Sondern um die Sprengung auch anderer Unterdrückungsstrukturen wie Mobbing, Lügen,
Manipulation, Intransparenz, Diskursfeindlichkeit, Unredlichkeit, Diskriminierung, Entpersönlichung, Vernichtung von Kritiker_innen durch Klagewellen... Meine Forderung im „Hauptsache für die
Tiere?“-Artikel (TIERBEFREIUNG, Heft 67) war nicht, dass alle nun Theoretiker_innen werden sollten und sich alle Tierrechtler_innen nun auch gegen andere Unterdrückungsformen einsetzen müssten.
Aber dass doch etwas Mündigkeit und Redlichkeit von Nöten sei, um zumindest grobe Fehler vermeiden zu können. Fehler wie zum Beispiel das Fördern von Unterdrückungsstrukturen durch die
Kooperation mit anti-emanzipatorischen Gruppen. Warum sollte ich es nun nicht tolerieren, wenn andere Gruppen meiner Bewegung mit dem UL oder Nazis zusammenarbeiten wollen? Inwiefern betrifft es
mich? Wenn eine ausschließenswerte Organisation partiell geduldet wird – wie will man dann plötzlich Grenzen setzen (Ausschluss auf eigenen Veranstaltungen) und Dritten dann diese Grenzen
vermitteln? Und was ist mit der Außenwirkung der Bewegung, wenn sie partiell doch kooperiert? Schließen sich dann nicht die emanzipatorisch eingestellten Menschen und Gruppen selbst aus, wenn die
Bewegung nicht willens ist, sich von Organisationen wie der NPD und UL zu distanzieren und diese auszuschließen?
Transparenz und Diskurs
Die TIERBEFREIUNG möchte den theoretischen Diskurs in die Bewegung hinein tragen. Wir empfinden die Vielzahl an Ansätzen und Herangehensweisen als Bereicherung für
die vernetzte und im Austausch stehende Bewegung. Als Redaktion fördern wir grundsätzlich konstruktive Kritik, die Transparenz schafft und kritische Positionen erhellt. Wir glauben, dass dies
eine fortschrittliche Bewegung voran bringt und unabdingbar ist, gerade wenn es Kräfte in der Bewegung gibt, die am Gegenteil von Transparenz Interesse haben. Das Editorial von TIERBEFREIUNG Heft
68 bringt es ganz gut auf den Punkt. Unser Bemühen, bewegungsrelevante Strukturen, Einstellungen und Strategien transparent zu machen und Diskurse zu eröffnen, wird jedoch als „Hetze“ bezeichnet
– ohne inhaltlich darauf einzugehen oder wenigstens erkennbar etwas zu ändern, wo die Kritik berechtigt ist. Gerade jene polarisieren, erhitzen und spalten die Bewegung, die ohne argumentative
Kraft und ohne inhaltliches Eingehen bei jeder Art von Kritik pauschal von „Hetze“ reden, anstatt die unterschiedlichen Typen der Kritik fair voneinander zu unterscheiden und manche berechtigte
Kritik auch entsprechend zu würdigen. Anstatt sich innerhalb der Graswurzelbewegung auf kritische, konstruktive Diskurse einzulassen (und gegebenenfalls etwas in der eigenen Organisation oder an
der eigenen Einstellung zu verbessern) oder sich wenigstens aus ihnen herauszuhalten, werden diese mit bösen Worten verunglimpft und ohne inhaltlich angemessenes Eingehen einfach abgeurteilt. Als
Gründe oder Leitmotive dafür lassen sich ausmachen: Unfähigkeit oder Unwillen bezüglich Diskursen, der Erhalt der eigenen Macht und der Einsatz für eine möglichst große und aktivistische Bewegung
von in gewisser Weise unkritischen Mitläufern.
Wenn alle Positionen und Handlungen transparent und konstruktiv-sachlich diskutierbar wären, hätten wir viel mehr Sachlichkeit, Klarheit und vielleicht auch Anstand
in der (beziehungsweise den) Bewegung(en). Manchmal kochen die Emotionen wegen einer ideologischen Einstellung hoch. So könnte die eigene verwurzelte Vorstellung vom Richtigen so stark sein, dass
an anderen Vorstellungen überzogen Kritik geübt wird. Auf der anderen Seite, der der Kritisierten, könnte die eigene Ideologie ihrerseits gegen berechtigte Kritik immunisiert und unzugänglich
sein. Wir müssen uns immer wieder selbst fragen, was uns antreibt: das ideologische oder das kritische Bewusstsein. Was wir brauchen, wenn wir uns eine starke und im Wesentlichen geschlossene
Bewegung wünschen, ist mehr Redlichkeit und Diskursoffenheit.
von Emil Franzinelli
Fußnoten:
[1] Judith Holofernes von der Band Wir sind Helden sagte dem BILD-Blatt auf deren Anfrage für eine Werbeaktion ab, sie will (auch) keine ehrliche, abwertende Meinung
auf einem BILD-Plakat äußern. Sie erkannte, „dass das Medium die Botschaft ist. Oder, noch mal anders gesagt, dass es kein ‚Gutes im Schlechten‘ gibt“. Die BILD sei kein „weitestgehend harmloses
Inventar eines eigentlich viel schlaueren Deutschlands“, sondern sie mache Deutschland. „Mit einer Agenda.“ Ich meine: Man soll auch das UL in seiner Tat- und Organisationskraft nicht
unterschätzen. Und auch beim UL gilt, dass das Medium die Botschaft ist. Wer das UL toleriert oder sogar mit ihnen kooperiert, toleriert implizit auch seine Strukturen oder demonstriert dies
zumindest nach außen.
[2] Ist die Tierrechtsbewegung wirklich unattraktiv für das Universelle Leben? Es ist kein Geheimnis, dass es einen beachtlichen Teil an esoterisch und theosophisch
eingestellten Menschen unter den Vegetarier_innen und Veganer_innen gibt, die anfällig für die UL-Lehre sind. Außerdem diverse soziale Netze, die gewonnen werden könnten (nicht zuletzt als
Konsument_innen für deren Bioprodukte). Und schließlich die gesellschaftliche Position einer Organisation, die einer aktiven, sozialen und emanzipatorischen Bewegung zugehört. Die prominente
Schauspielerin und ehemalige Landtagsabgeordnete der Grünen Barbara Rütting ist vor kurzem in eine UL-Gemeinde gezogen. Ich würde sagen, das Konzept (oder die Saat?) geht auf.
[3] „Denunziation und Aufsplitterung in der Tierrechtsbewegung“ (2005?): www.vegan.at/warumvegan/tierrechte/denunziation_und_aufsplitterung_
in_der_tierrechtsbewegung.html
[4] Interview mit Gary Francione über den Stand der Tierrechtsbewegung in den USA ( 2002): www.antispe.de/txt/garyfrancioneinterview.html
[5] Vergleiche und beurteile folgenden Sachverhalt. Ein NPD-Landesvorsitzender äußerte im Parlament: „Warum unterstützen Sie denn nicht endlich die Familien hier im
Land, anstatt Verfolgung von Andersdenkenden zu praktizieren.“ Denn es gibt ja ein gemeinsames und sinnvolles Ziel: „Es muss ein kinderfreundliches Umfeld geschaffen werden.“ Wir sollen
verstehen: 1) Die NPD ist faktisch und im Rahmen des Grundgesetzes wählbar und wurde in den Landtag gewählt, ist also demokratisch legitimiert. 2) Die NPD setzt sich ebenfalls engagiert für eine
gute Familienpolitik im Landtag ein. 3) Wer sich für berechtigte politische Ziele einsetzt, sollte (gegebenenfalls wie hier in der Familienpolitik) auch mit der NPD als Andersdenkenden
zusammenarbeiten.