Sehr geehrte Frau Dr. Scholz,
ich will dieses Schreiben nicht mit einer Heuchelei anfangen, also nehmen Sie bitte gleich zur Kenntnis, dass es momentan bei mir eher schlecht mit einer Verehrung Ihre Person betreffend aussieht und ich diesen Anfangsgruß lediglich aus einer reinen Gewohnheit heraus gewählt habe. Sicherlich kennen wir uns nicht, deshalb streiche ich gerne hervor, dass diese tendenzielle Abneigung ausschließlich auf Ihre Ausführung des Amts der Bürgermeisterin basiert und ich Ihre potentiellen Privattalente als Feierbiest oder anderen Inkarnationen im sympathischen Stimmungskoryphäenbereich schon aus persönlicher Uninformiertheit darüber völlig unberührt lassen möchte. Ich will sogar noch einen Schritt weitergehen, indem ich ausdrücklich betone, dass ich nur einen Aspekt Ihrer Arbeit kritisiere, da ich davon überzeugt bin, dass Sie die Lage, wie von modernen PolitikerInnen nicht anders gewohnt, auf den übrigen Gebieten absolut im Griff haben.
Aber was Ihre Untertanen traditionell am Rosenmontag unter dem Begriff „Gänsereiten“ veranstalten, kann doch weder an Ihnen vorbeigegangen sein noch können Sie sich mit diesem barbarischen Treiben solidarisch erklären, sofern Sie Interesse an einer zivilisatorisch an das 21. Jahrhundert angepassten Politikauslebung haben und zu Ihren öffentlichen Terminen nicht aus einer inneren Überzeugung heraus mit Keule und in Felle gehüllt anreisen. Ich gehe fest davon aus, dass Sie die Evolution erfolgreich mitabsolviert haben und deshalb wie jeder normale Mensch davon abgestoßen sind, wenn Bindeglieder zwischen Affen und Menschen (im Volksmund: Karnevalisten) andere Lebewesen an ihren Beinen aufhängen, um ihnen dann während einer perversen Parodie auf eine Sportveranstaltung den Kopf abzuschlagen. Das Problem ist dabei, dass niemand mitbekommt, wenn Sie nach der Übermittlung so einer Nachricht geschockt von Ihrem Thron fallen oder spontan das Mittagessen Ihrem Chefkoch wieder vor die Füße göbeln. Als Königinnenalternative von ganz Bochum müssen Sie in solchen Fällen Ihr Zepter in die Hand nehmen und mit selbigen den irren Köpfern auf die blutigen Finger klopfen, das sind Sie auch Ihrem geistig gesunden Restvolk schuldig.
Ganz im Ernst verstehe ich wirklich nicht, warum Sie da überhaupt zögern, denn Sie haben in dieser Situation doch nur Wähler zu gewinnen. Gegnern wie mir geht es gar nicht um die Abschaffung des Gänsereitens. Ich bin weit davon entfernt, das Verbot von Fetischen zu fordern, nur weil diese auf mich abstoßend wirken. Als engagierter Rollenspieler ist es mir absolut nicht fremd, virtuelle Blutspuren zu hinterlassen. Sogar Gänse sind da vor mir nicht sicher, wenn die Viecher Erfahrungspunkte abwerfen, dann sind sie Schwertfutter und ich freue mich sogar über die nicht existierende Kampfherausforderung. Mein Alter Ego auf diversen Videospielsystemen hat da schon in so manchem Stall aufgeräumt, es wäre wirklich lächerlich, wenn ich mir da eine Zimperlichkeit attestieren würde.
Aber die Betonung liegt bei der Verteidigung meiner brutalen Freizeitgestaltung auf „virtuell“. Ich ermorde da hinterrücks Bits und Bytes, da stehe ich auch zu, da ich mich auf dem Feld der Anti-Pixelausbeutung nicht engagiere und das wohl auch nie tun werde. Es gibt auf diesem Gebiet auch keine Gegner, zumindest keine, denen es um die Verschonung meiner nicht-körperlichen Metzelopfer gibt. Diese sind nun mal keine realen Lebewesen, sondern programmierte Platzhalter, mit diesem Hinweis entziehe ich mich recht elegant jeglichem moralischen Vorwurf. Den gleichen Trick könnten die Gänsereiter ebenfalls für sich anwenden, indem sie auf künstliche Tiere zurückgreifen, wie in anderen Städten mit gleicher Tradition auch bereits praktiziert.
Das ist der Hintergrund, warum ich Ihr weiter oben im Text bereits erwähntes Zögern nicht nachvollziehen kann. Was genau ist für Sie an der Forderung nach Attrappen bei dieser Veranstaltung kritisch besetzt? Sollte es tatsächlich Gänsereiter geben, denen es bei diesem Treffen nicht um den in meinen Augen zwar recht zweifelhaften, aber für mich nicht zu bewertenden Spaß geht, sondern nur um einen hohen Blutzoll und um das Schänden echter Leichen, dann würde ich diese Exemplare erstens schon reflexartig intensiver beobachten lassen und würde sie zweitens auch nicht unbedingt in meiner Wählerschaft haben wollen.
Zumal solche Leute in den meisten Fällen sowieso allgemein zu blöd für Kreuze sind, von einer gezielten Markierung auf einem Wahlzettel ganz zu schweigen. Sollten Sie sich überhaupt nur Sorgen darüber machen, dass Sie Ihre Forderung wegen einer vielleicht nicht ganz zu Unrecht vorausgesetzen intellektuellen Niveaudürre in diesen Kreisen nicht verständlich in einem rein artikulierten Kontakt übermitteln können, dann bin ich selbstverständlich gerne bereit, Ihnen entsprechende Bilderskizzen zur Verfügung zu stellen, mit denen Sie die Federviehcowboys dann sehr viel anschaulicher in den Sachverhalt und der daraus resultierenden Kritik einweihen können. In dieser Klientel haben Sie aber auf jeden Fall kaum etwas zu verlieren.
Bei der Gegnerschaft hingegen können Sie nur gewinnen, das sogar in Bereichen, die nicht unbedingt von SPD-Stammwählern gestellt werden. Sicher könnten Sie auch einfach sagen, dass sie sich um solche Kleinigkeiten nicht kümmern wollen, dann wundern Sie sich aber nicht über ausbleibende Stimmen bei der nächsten Wahl. Es gibt durchaus Menschen, die sich an solche Entscheidungen erinnern und sich dementsprechend in Wahlkabinen per Retourkutsche nicht mehr um Ihre Partei kümmern wollen. Auch weil das die meisten von den in dieses Thema involvierten Personen schon aus Prinzip nicht tun, da die Tierrechtsszene politisch nicht unbedingt rot daherkommt. Das können Sie nur durch vernünftige Beschlüsse ändern, es könnte sich also sehr wohl für Sie lohnen, sich diese Sache ernsthaft durch den Kopf gehen zu lassen.
Hinzu kommt auch, dass der Rückhalt in der Stadtbevölkerung möglicherweise für das Gänsereiten vorhanden ist, die ausdrückliche Benutzung von echten Tieren und die Verweigerung von künstlichen Alternativen ist aber garantiert eher verpönt. Zu dieser Überlegung bin ich gekommen, da ich das Thema gerade sehr intensiv im Bekanntenkreis bespreche und da auf völliges Unverständnis stoße, wenn ich zu Protokoll gebe, dass Bochum die einzige Stadt ist, die auf Schändung von realen Leichen besteht. So etwas macht sich auch nicht gut auf Werbebannern ala „Bochum – Stadt der Kadaverspiele“. Das eignet sich höchstens als Titel für einen Splatterfilm und selbst der würde mit diesem Support definitiv eine DVD-Premiere werden, um dann im Verkaufsregal Spinnweben anzusetzen.
Gerne kann ich auch noch kurz (na ja, sagen wir für meine Verhältnisse) auf das Thema eingehen, warum ich um tote Lebewesen so einen Trara mache. Das hat bei mir den gleichen Grund, aus dem Sie wahrscheinlich sehr irritiert darauf reagieren würden, wenn ein paar Narren zu Karneval den städtischen Friedhof umpflügen und danach auf den eindeutig bewiesenen Exitusstatus der Bewohner pochen würden. Dieser Mensch/Tier-Vergleich kommt nie so gut an, das ist mir bewusst, deshalb male ich auch gleich noch das alternative Szenario aus, wie das Gänsereiten wohl bewertet werden würde, wenn es auf Hundereiten mit entsprechenden Protagonisten umgetauft werden würde. In so einem Fall wäre die Würde von Toten wohl ruckzuck ein Thema, egal wie unmenschlich diese ihre Existenz geführt hätten.
Erinnern Sie sich auch daran, warum das Kinder-Gänsereiten in Ihrer Stadt bereits seit Jahren mit Attrappen bestritten wird. Das liegt sicher nicht daran, dass den Machern die verstorbenen Gänse ausgegangen sind. Für Kinderseelen ist es noch mal etwas ganz anderes, an einem Spektakel teilzunehmen, bei dem Lebewesen brutal am Fließband zerfetzt werden und diese Abscheulichkeit auch noch bejubelt wird. Solche Vorgänge rufen bei jungen Gemütern nur zwei Dinge hervor, nämlich Abstumpfung inklusive Verlust des Respekts vor Lebewesen oder Angstzustände. Beide Auswahlmöglichkeiten werden es wohl nie zum Gimmick der neuen Micky-Maus-Ausgabe schaffen, und das aus gutem Grund, da niemand an einer Vergewaltigung dieser zarten Seelengebilde interessiert sein kann. Wenn man sich darüber einig ist, deshalb einen Konsens gefunden hat und im Zuge dessen die Variante für jüngere Mitbürger richtigerweise entschärft hat, wie kann man dann Kinder im Publikum der Erwachsenenveranstaltung ignorieren und sich weigern, dort die gleichen Maßstäbe anzusetzen?
Ich glaube, ich bin jetzt soweit fertig, Sie können also an dieser Stelle aufatmen. Allerdings bezweifele ich sowieso irgendwie, dass Sie sich mein ganzes Manifest angetan haben, eigentlich nehme ich sogar ziemlich fest an, dass ich gerade in Kontakt mit dem Azubi der Stadt stehe, der via Arschkarte diese Woche die Mail-Adresse pflegen muss. Deshalb gehe ich auf Nummer Sicher und lasse das Teil mit Ihrer E-Mail-Adresse “Oberbuergermeisterin@bochum.de “; auch in mir ganz wohl gesonnenen Zeitungsredaktionen herumgehen. Vielleicht findet sich ja dort per Artikelveröffentlichung noch der eine oder andere Leser, der die Problematik griffiger zusammenfassen kann. An Ihrer Stelle würde ich mich auf jeden Fall schon mal in den hoffentlich künstlichen Hermelinmantel werfen, die Bürgermeisterkette anlegen und mich auf eine offizielle Kundgebung zum Thema vorbereiten. Daran kommen Sie wohl nicht vorbei, spätestens nächstes Jahr geht das ganze Theater nämlich wieder los, sollten Sie tatsächlich einen Status Quo auszusitzen versuchen.
Die Seite, die Sie bei so einer Verlautbarung taktisch geschickt wählen sollten, ist Ihnen hoffentlich klar. Rein vom Gefühl her glaube ich nämlich, dass die Bürger auf die Ansage, dass Sie ausdrücklich auf Realschändungen bestehen, nicht allzu begeistert reagieren würden. Es könnte sicher auch zu Irritationen führen, wenn man dieses Thema während einer Info-Veranstaltung zur Diskussion stellt und Ihre Position aufgrund fehlender Stellungnahme nicht definieren kann.
Also raffen Sie sich auf, klären Sie das mit den Veranstaltern oder geben Sie wenigstens eine entsprechende Depesche in Auftrag. Die Verantwortlichen in Dortmund und Essen sind ja auch zu einem befriedigenden Kompromiss gekommen, nehmen Sie diese Tatsache doch einfach mal als politische Herausforderung an. Es kann doch nicht sein, dass nur Ihre Stadt Bochum aus welchen Gründen auch immer in längst vergangenen Jahrhunderten stecken bleibt.
(Jens Grote)
Infos zum Thema: http://www.youtube.com/watch?v=cE63_HtUxlI