Die gegenwärtige Stellung des Tieres im Recht
Eine kritische, juristische Analyse des Status quo des tierischen Lebens im gegenwärtigen deutschen Rechtssystem und seine notwendige, innewohnende Diskrepanz zu einem „echten“ Tierrecht
von Jens Nowak
(Artikel aus der TIERBEFREIUNG 90 - mit freundlicher Genehmigung der Redaktion)
In der Geschichte der Tierrechtsbewegung sind unzählige Publikationen zu Tierbefreiung, Tierunterdrückung, Tierausbeutung und Tierleid verfasst worden. Diese Veröffentlichungen, seien sie theoretischer wie praxisbezogener Natur, sind dabei - will man sie auf dem Gebiet von geisteswissenschaftlichen Disziplinen ansiedeln - politischer, soziologischer und philosophischer Natur, was bei einer sozialen Bewegung geradezu immanente Notwendigkeit ist. Obwohl die Tierrechtsbewegung, das Wort „Recht“ und das Einstehen für Rechte von Tieren, schon in ihrer Bewegungscharakterisierung trägt, sind Texte zur rechtlichen Stellung des Tieres oder eine rechtstheoretische kritische Betrachtung der Mensch-Tier-Beziehung , stark „unterrepräsentiert“, wenn nicht gar fast inexistent. Gesellschaftliche Miss- und Gewaltverhältnisse lassen sich jedoch nirgendwo so unmittelbar und transparent aufzeigen, wie in ihrer Zementierung durch den gesetzgeberischen Akt. Denn das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit in der parlamentarischen Demokratie verlangt, dass alle gesellschaftlichen Verhältnisse, seien es solche des Eigentums, der Menschen untereinander und eben auch der Mensch-Tier-Beziehung, einer gesetzlichen Grundlage bedürfen. Dass daher auch Hegemonialstellungen wie das Staats-BürgerIn-, Mann-Frau-, Mensch-Tier-Verhältnis und nationalstaatliche Paradigmen im bestehenden normierten Recht und seiner Anwendung am stärksten zu Tage treten, haben schon JuristInnen wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und Kurt Tucholsky erkannt. Dieser Text versucht einen kurzen Überblick über die rechtliche Verortung des nichtmenschlichen Lebens im bestehenden Rechtssystem für den juristischen Laien zu geben und welche erkenntnistheoretischen Ableitungen sich hieraus ergeben. Dass diese solche sind, die eine sich über den bloßen Tierschutzgedanken fortgedachte Tierrechtsbewegung schon verinnerlicht hat, ist eindeutig. Jedoch ist der Blickwinkel eben mal ein anderer, ein rechtlicher. Daneben sollen auch rechtliche Möglichkeiten im Bestehenden aufgezeigt werden, die eine neue Perspektive für TierrechtlerInnen aufzeigen könnte.
Rechtssubjekt Mensch vs. Rechtsobjekt Tier
Grundsätzlich unterscheidet die Rechtsordnung zwischen Rechtssubjekten und Rechtsobjekten. Rechtssubjekte sind dabei Träger von Rechten und Pflichten, ihnen wird rechtssystematisch eine Personeneigenschaft zugeschrieben. Die Rechtsordnung differenziert diese in natürliche (Menschen) und sogenannte juristische Personen (bestimmte wirtschaftliche Gesellschaftsformen OHG, KG, AG etc.). Die Beziehung, in der ein Rechtsubjekt zu einem Rechtsobjekt stehen kann, ist dabei eine „Verfügende“ bei Abänderung, Veränderung der Rechtsinhaberschaft oder die eines Rechtsstatus wie Besitztum, Eigentum an dem Rechtsobjekt. Also beispielsweise Mensch Meier verfügt über sein Eigentum am Fahrrad durch Übertragung an Liselotte Meier oder er ist einfach Eigentümer am Fahrrad. In dieser grundlegenden Rechtskonstellation von Rechtssubjekten und Rechtsobjekten kommt dabei dem Tier und seiner gesetzlichen Positionierung in diesem Gefüge durch § 90a BGB („Begriff der Sache: Tiere“) entscheidende Bedeutung zu.
§ 90a BGB lässt sich als Zentralnorm der Stellung des Tieres im deutschen Rechtssystem bezeichnen. Dabei verdient allein schon besondere Berücksichtigung unter welchem Abschnitt des Buches 1., des allgemeinen Teils des Bürgerlichen Gesetzbuches, Tiere erwähnt werden. Im 1. Abschnitt §§ 1-89 BGB werden natürliche und juristische Personen, vorher erwähnte Rechtssubjekte normiert, der 2. Abschnitt enthält die Überschrift „Sachen und Tiere“. Der Rechtsobjektstatus ist damit gesetzlich und rechtsmethodisch festgeschrieben.
In der Rechtsmethodik existieren sogenannte Auslegungskriterien zu Gesetzen. Neben dem Wortlaut der jeweiligen Regelung wird unter anderem die sogenannte Systematik herangezogen, bei der vorangestellte und direkt anschließende Gesetze, an die jeweilige auszulegende Norm und somit das Gesetz, quasi in seinem eingebetteten Kontext, untersucht wird. Mit der Überschrift des 2. Abschnittes des BGB „Sachen und Tiere“ ergibt sich systematisch eine Positionierung des Tieres auf zumindest ähnlichem Rang zur Sache.
Wie sieht es aber mit dem Wortlaut des § 90a BGB aus? Satz 1 des § 90a BGB, so könnte vermutet werden, bekennt erst einmal Farbe „Tiere sind keine Sachen“, obwohl dieser Satz da er eine naturwissenschaftliche Gegebenheit wiedergibt, seltsam anmutet. Satz 2 enthält weitergehend „ Sie werden durch besondere Gesetze geschützt.“ Ein Umstand auf den noch eingegangen wird. Entscheidend jedoch ist die nun in Satz 3 enthaltene Regelung, welche die in Satz 1 festgestellte unwiderlegbare Tatsache des Tieres als Lebewesen, weitestgehend rechtlich demontiert und dekonstruiert. „Auf sie (die Tiere) sind die für Sachen geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden, soweit nicht etwas anderes bestimmt ist.“ Der Passus des „soweit nicht etwas anderes bestimmt ist“ wird in der Juristerei als Spezialitätsgrundsatz beschrieben, also immer wenn keine Spezialnormierung zum jeweiligen Rechtsgeschäft, Rechtsverhältnis, in dem Tiere Bestandteile sind, greift, wird § 90a BGB als Generalnorm angewendet, der wiederum die Anwendung der sachenrechtlichen Regelungen vorschreibt. Da kaum Spezialregelungen vorhanden sind, wird genau an dieser Stelle die Rolle des Tieres im kapitalistischen Verwertungsprozess festgeschrieben und es seiner „sachenrechtlichen Bestimmung“ zugeführt. Um weiter den rechtlichen Stand des Tieres verfolgen zu können, bedarf es, sich das erwähnte Sachenrecht im Buch 3. des BGB anzusehen (§§ 854-1296 BGB), welche Anwendung ja über § 90a BGB angeordnet ist. Über Tiere kann durch diese Norm verfügt werden, sie sind Übereignungsgegenstände im Sinne der sachenrechtlichen §§ 929 BGB folgende, somit Kauf- und Verkaufsobjekte, unterliegen den ökonomischen Gesetzmäßigkeiten und dem Eigentumsrecht. Die nun weiterführende verheerende Konsequenz für das Tier nennt sich Eigentumsbefugnis und offenbart in § 903 BGB seine Tragweite, die in einer kapitalistischen Konsum-und Gütergesellschaft unabdingbar ist.
In § 903 S.1 BGB heißt es „ Der Eigentümer einer Sache (§ 90a S.3 ordnet ja eben diese Gleichstellung an, „wenn nicht etwas anderes bestimmt ist“) kann soweit nicht das Gesetz oder Rechte Dritter entgegenstehen, mit der Sache nach Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen.“ An dieser Stelle kommt nun das Tierschutzgesetz ins Spiel, da § 90a S.2 BGB ja bereits enthält, dass Tiere durch besondere Gesetze geschützt seien. Wenn § 90a BGB Anwendung sachenrechtlicher Normen vorschreibt und innerhalb der sachenrechtlichen Norm des § 903 BGB von einer beschränkenden Regelung geredet wird, so muss im rechtlichen Umkehrschluss das Tierschutzgesetz Anwendung finden. Doch welche Besserungen werden für Tiere in seiner Rechtsobjektsdegradierung dadurch spürbar? Und schränkt es in seiner praktischen Anwendung überhaupt derart weitreichende Eigentumsbefugnisse wie die des § 903 BGB an Tieren ein?
Das Tierschutzgesetz - eine juristische Parade der unbestimmten Lächerlichkeit
Die unglaubliche Fülle des Tierschutzgesetzes ergießt sich über 22 Paragrafen, die zu einem Teil aus sogenannten Kompetenz- / Ermächtigungsnormen und aus den Schutznormen selbst bestehen. Die Kompetenznorm des § 2a TierSchG enthält die Befugnis zum Verordnungserlass des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Sinne des Gesetzes. Bereits hier wird offenkundig, worum es zu einem großen Teil wirklich geht, nicht um den Schutz des Tieres um seiner selbst willen, sondern des Verbraucherwillens, um den Genussertrag aus Fleisch-, Milch- und Eierproduktion zu maximieren. Obwohl ja selbst dieses für eine Tierrechtsbewegung offensichtliche Nullziel, evident bei den medialen Fleischskandalen und gesundheitlichen Untersuchungen der letzten Zeit, nicht gelingt. Des Weiteren ist das Tierschutzgesetz durchzogen von Begriffen, die in der Rechtswissenschaft unter der Kategorie „unbestimmter Rechtsbegriff“ geführt werden. Gemeint sind damit Termini, die für sich genommen keinen klar definierten Deutungsgehalt besitzen und erst durch die sogenannte „richterliche Rechtsfortbildung“ Deutungsgehalt erlangen. Um ein konkretes vielbemühtes Beispiel abzugeben, das Zivilrecht ist durchdrungen vom sogenannten „Treue- und Glaubensgrundsatz“, normiert in § 242 BGB. Doch wann verhält sich eine Vertragspartei treue- und glaubenswidrig? Der durchschnittliche Jurist kann dazu nachts um 4 geweckt werden und kann in staccato wiedergeben, dass „Treue- und Glaubenswidrig derjenige handelt, der wider das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt“. Eine Formel wird ersetzt durch eine Andere, die ebenso auslegungsbedürftig wie ihre Ausgangsformel ist. Denn was ist das Anstandsgefühl, wenn nicht ein gesellschaftlicher Wertekanon - und noch dazu aller billig und gerecht Denkenden. Diese Nichtdefinition liegt nun in der Obhut der Richter, die diesen sogenannten unbestimmten Rechtsbegriffen im Einzelfall, also den ihnen anvertrauten Sachverhalt mit Inhalt zu füllen haben.
Zurück zum Tierschutzgesetz und die Parallelen. § 1 S.2 TierSchG trägt als Eingangsnorm des TierSchG sowohl schon die Unbestimmtheit von Rechtsbegriffen in sich, als auch die absolute Pervertierung jedes Tierrechtsgedankens. „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“ Dies impliziert einerseits, dass es vernünftige Gründe gäbe und andererseits dass diese zu benennen sind. Einen vernünftigen Grund gäbe es wohl tatsächlich, der Angriff eines nichtmenschlichen Tieres auf das menschliche Tier, also das Notwehrrecht. Doch dies ist eindeutig nicht der Telos, also der Sinn und Zweck des TierSchG. Auf die meisten Eingangsnormen in Gesetzen, also dem allem vorangestellten Paragrafen, der meist prägnant Sinn und Zweck des Gesetzes benennen soll, folgen greifbare Konkretisierungen dieser Norm - nicht jedoch im TierSchG. §2 TierSchG normiert “wer ein Tier hält, betreut oder zu betreuen hat, muss das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend angemessen ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen“. Der Begriff der Angemessenheit hinsichtlich der Tierhaltung durchzieht das TierSchG an mehreren Stellen. Im Bereich der Tierversuche der §§7 folgende sind diese Normen ebenso vom unbestimmten Rechtsbegriff durchzogen. § 7 Abs. 2 enthält „Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, soweit sie zu einem der folgenden Zwecke unerlässlich sind“ - es folgt eine enumerative Auflistung der Zwecke. Die Begriffe der Angemessenheit, des Artgerechten und der Unerlässlichkeit werden dann durch richterliche Rechtsfortbildung konkretisiert. Aufgrund der gesellschaftlichen Realitäten der Tierhaltung, der Tierzucht und der Tiermast ist allen Lesenden bewusst, wie die Konkretisierung durch richterliche Rechtsfortbildung, zumindest größtenteils aussieht. Bei unbestimmten Rechtsbegriffen sieht die Rechtswissenschaft zwei Auslegungsvarianten vor, die restriktive (also strengere Auslegung des Gesetzes) und eine extensive (großzügige Auslegung des Gesetzes). Im Falle des TierSchG erfolgt diese richterliche Auslegung weit überwiegend extensiv, also zu Lasten der Tiere und zugunsten der Betreiber tierausbeuterischer Betriebe. Eine restriktive Rechtsprechung würde wohl de facto die forcierte Schließung jedes Massentierhaltungsbetriebes bedeuten. Zudem werden beispielsweise §§ 4 und 6 TierSchG sogar contra legem, also gegen seinen eindeutigen, einer Auslegung nicht zugänglichen Gesetzeswortlaut angewandt, da Wirbeltiere(§ 4 TierSchG) nur unter Betäubung oder nur unter Vermeidung von Schmerzen getötet werden dürfen. Die gängige „Schredderpraxis“ für männliche Küken sieht zur Profitmaximierung gänzlich von Betäubung ab. Nach § 6 TierSchG ist das Zerstören von Organen oder Geweben eines Wirbeltieres verboten. Jedoch ist die Flugunfähigmachung durch Durchtrennen von Sehnen bei Vögeln in vielen deutschen Zoos Praxis. Demnach scheitert das TierSchG schon an seinem eigenen, minimalistischen Anspruch - es ist zu unbestimmt, zu undefiniert und zu extensiv in seiner richterlichen Anwendung ausgelegt oder es wird sogar contra legem Recht gesprochen/angewandt - um es wohl treffend zu formulieren ist genau diese Rechtspraxis geradezu gewollt.
Die faktisch-rechtliche Konsequenz der Absprache der Eigenschaft als Rechtssubjekt
Tierschutz wird jedoch stets nur von der „schützenden Hand“ gewährt, es bedarf vielmehr der Normierung und Konsolidierung eines Tierrechts, das der Existenz tierischen Lebens seiner selbst willen Rechnung trägt. Da das Tier zum Rechtsobjekt im bestehenden rechtlichen Gefüge stigmatisiert ist, bedürfte es seiner Subjektivierung um im gegenwärtigen Rechtssystem eine unmittelbare Verbesserung für Tiere zu bewirken, das heißt Tiere würden tatsächliche Träger von (((k)))Rechten(((k))) werden. Doch wo wäre diese Rechtssubjektivität zu normieren? Im gegenwärtigen deutschen Recht besteht eine sogenannte Normenhierarchie. Dabei stehen die Grundrechte, die grundrechtsgleichen Rechte und das staatliche Verfassungsrecht mit seinen Kompetenz- und Gewaltenteilungsnormen an der Spitze dieses hierarchischen Gebildes. Rechtssubjekte sind immer auch Inhaber von Grundrechten. Natürliche Personen haben die Rechte der Unverletzlichkeit der Wohnung aus Art. 13 GG, der Berufsausübungs- und Berufswahlfreiheit aus Art. 12 GG, der positiven wie negativen (Recht zum Atheismus) Religionsfreiheit aus Art. 4 GG, der Versammlungsfreiheit Art. 8 GG usw., juristische Personen wie Gewerkschaften und Vereine sind Träger der Vereinigungsfreiheit aus Art. 9 GG. Diese Grundrechte sind als sogenannte Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat konzipiert und letztlich ausgehend von sozialen Bewegungen seit 1848 im Gegenspiel zwischen Revolution und absolutistischer Reaktion, erkämpft. Die Frankfurter Paulskirchenversammlung gab sich die erste freiheitlich orientierte Verfassung, die von den reaktionären Kräften aktiv bekämpft wurde. Da zur Rechtssubjektivierung des Tieres seine Grundrechtsträgereigenschaft eine zwingende ist, müsste tierischem Leben ein Grundrecht zugesprochen werden und dieses von der Tierrechtsbewegung erkämpft werden.
Forderung einer Grundrechtsträgereigenschaft des Tieres als einzige rechtspolitisch mögliche - systemimmanente - Besserung
An oberster Stelle unseres Grundrechtsgefüges steht Art. 1 GG, der in Absatz 1 Satz 1 enthält „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Viele Rechtswissenschaftler gehen davon aus, dass dies die Eingangsnorm unserer bestehenden Grundrechte sei und der weitere „Grundrechtskatalog“ dieses würdevolle Leben konkretisiere, die weiteren grundrechtlich garantieren Freiheiten sich also daraus ergäben. Das andere theoretische Lager sieht die Grundrechte als jeweilige eigenständige Rechte. Dieser Streit ist für eine rechtstheoretische Betrachtung zur Normierung eines tierischen Grundrechts ohne Belang. Eine rechtsphilosophische Betrachtung jedoch, woraus das bestehende menschliche Grundrecht auf Würde rechtstheoretisch abgeleitet wird, das dem nichtmenschlichen Tier verwehrt ist, offenbart das Problem. In der Rechtsphilosophie besteht weitestgehend Einigkeit darüber, dass sich die Unantastbarkeit der menschlichen Würde aus Kants kategorischem Imperativ ergäbe, der sich als philosophisch-moralischen Verhaltenskodex ausgibt, dass man stets nur nach „derjenigen Maxime handeln solle, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Daraus wird die Verpflichtung des Staates und der Bürger untereinander zum Miteinander in Würde abgeleitet und als abstraktes Recht festgeschrieben. Dieses „Würderecht“ wird in der Rechtsanwendung sogar als indisponibles, also unabdingbares Recht interpretiert. Es ist somit sogar eigener menschlicher Verfügung entzogen im Gegensatz zur körperlichen Unversehrtheit aus Art. 2 GG, auf die ein Mensch verzichten kann (beispielsweise durch einverständliche, masochistische sexuelle Handlungen). Das Bundesverfassungsgericht entschied beispielsweise, dass ein Zirkusgeschehen, bei dem sich Kleinwüchsige unter der „Attraktionsbezeichnung“ „Zwergenweitwurf“ mit Einverständnis werfen ließen, gegen Art. 1 GG verstoße, da es ein menschenunwürdiges Bild bei den ZuschauerInnen festige. Bei Betrachtung der Kantschen Formel zum kategorischen Imperativ ergibt sich jedoch nicht, dass das Tier von diesem Kodex ausgeschlossen ist, vielmehr geht dies auf eine rein anthropozentrische Auslegung oben aufgeführter Formel zurück. Oder (((k)))will(((k))) man bei emphatischer Betrachtung, der die Formel ja dienen soll, Leid und Qual für Tiere zum allgemeinen Gesetz werden lassen? Konsequent weitergedacht kann aus dieser Verhaltensmaxime nicht nur eine Normierung eines Menschengrundrechts auf Würde, sondern auch eines tierischen Grundrechts auf eine würdevolle Behandlung durch den Menschen, erfolgen. Art. 1 Abs. 1 GG müsste also lauten: „ Die Würde des menschlichen wie tierischen Lebens ist unantastbar.“ Daraus würde sich ein Folgekatalog tierischer Grundrechte ergeben, der ausgearbeitet werden müsste. In der Verfassung existiert bereits ein Artikel, nämlich Art. 20a GG, der den natürlichen Lebensgrundlagen und den Tieren gewidmet ist. Dieser spricht jedoch nur vom „Schutz aus Verantwortung für die künftigen Generationen im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung“. Er normiert also den Schutzgedanken durch die hoheitliche Staatsgewalt, die ja wie aufgezeigt erstens unzureichend ist und zweitens Tieren keinen Rechtssubjektscharakter mit autonomen Rechten einräumt. Systematisch steht dieser Artikel daher auch denknotwendig außerhalb der „Kerngrundrechte“ von Art. 1 bis 19 GG.
Kollisionskurs menschliche und tierische Grundrechte? Schrankenregelung und praktische Konkordanz
Fraglich könnte sein, ob sich nicht daraus eine Kollision menschlicher und tierischer Grundrechte ergibt. Der allgemeinen (menschlichen) Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG könnte doch dann ein tierisches (Grund-)Recht entgegenstehen, was unvereinbar mit beispielsweise dem Verzehr tierischer Lebensmittel, dem Besuch tierausbeuterischer Unterhaltung wie Zoo und Zirkus etcetera ist. Und wie ist dem rechtsmethodisch zu begegnen? Innerhalb der Grundrechtsdogmatik wird zwischen sogenannten „vorbehaltlosen“ Grundrechten und Grundrechten mit „Schrankenvorbehalt“ differenziert. Bei einem Grundrecht mit Schrankenvorbehalt steht beispielsweise im Gesetzeswortlaut „in diese Rechte darf nur Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.“ Die Unantastbarkeit der Würde aus Art. 1 GG ist das einzige vorbehaltlos gewährte Grundrecht. Der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG können auch die sogenannten verfassungsimmanenten Schranken und die Grundrechte Dritter entgegenstehen. Kollisionslagen zweier widerstreitender Rechte werden in der Methodik der Grundrechte dadurch aufgelöst, indem zuerst nach einer Schrankenregelung (Gesetz) gesucht wird, welches das vorhandene Grundrecht einschränken könnte. Existiert dies nicht, wird untersucht, ob dem Grundrecht ein Grundrecht eines Dritten oder eine verfassungsimmanente Schranke entgegensteht. Wäre beispielsweise grundrechtlich normiert, dass dem Menschen kein Recht zustehe die körperliche Unversehrtheit, Freiheit und Integrität des Tieres einzuschränken, so wäre dies eine verfassungsimmanente Schranke zur allgemeinen Handlungsfreiheit des Menschen aus Art. 2 GG. Die Verfassung selbst (da das Tiergrundrecht sich ja auf Verfassungsebene befindet) weist das andere Grundrecht in seine Schranke. Beim sogenannten einfachen Gesetzesvorbehalt kann das Grundrecht durch eine einfache, gesetzliche Norm (also ein Parlamentsgesetz, das keinen Verfassungsrang aufweist) eingeschränkt werden. Die allgemeine Handlungsfreiheit des Menschen aus Art. 2 GG, könnte also beispielsweise auch durch ein zu schaffendes Tierrechtsgesetz eingeschränkt werden, welches die tierischen Grundrechte konkreter fasst. Letztlich bleibt bei Kollisionslagen immer das vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Mittel der sogenannten „praktischen Konkordanz“, bei dem versucht wird zwei gegensätzliche Grundrechtspositionen in einen möglichst harmonischen Ausgleich zu bringen oder, falls dies nicht möglich ist, dem Vorzugswürdigeren den Vortritt zu gewähren. Ein Beispiel: Der Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 GG eines Zirkusdirektors mit Tierprogramm steht ein hypothetisches Tiergrundrecht entgegen, dass es „nicht natürlicher Verhaltensmuster durch Domestizierung und seinem natürlichen Lebensraum beraubt werden darf“ entgegen. Das Tiergrundrecht ist hier zwingend vorzugswürdiger, da die Berufsausübungsfreiheit im konkreten Fall dem tierischen Grundrecht diametral entgegensteht und die Berufsausübungsfreiheit des Zirkusdirektors nur in der Modalität (mit Tieren) eingeschränkt wird. Er kann sein Programm jedoch gänzlich auf menschliche Akrobaten stützen. All dies zeigt, dass im bestehenden Rechtssystem ein vollumfängliches Tierrecht nur durch die Erkämpfung einer Grundrechtsträgereigenschaft des Tieres erreicht werden kann. Klar ist, dass eine unmittelbare Überführung in die Grundrechtsträgerschaft von Tieren derzeit nicht gelingen könnte, aufgrund der Fülle von Tieren in Massentierhaltungen und Käfigen. Es bedürfte einer Interimslösung, wie man die derzeitigen Zustände in den Zustand der angestrebten Tierrechtspraxis transformieren könnte, die wie man es ahnt im hier und jetzt auch nur in gesetzlichen Übergangsregelungen bestehen kann (beispielsweise sofortiger Stop künstlicher Befruchtungen von Tieren, Auswilderungsregelungen von Zoo- und Nutztieren etc.). Die Erkämpfung eines tierischen Grundrechts parallel wäre jedoch immer unabdingbar. Ohne dies ist nichts gewonnen.
„Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch zur Tierausbeutung schweigen“
Dem Streben nach einem Tiergrundrecht steht jedoch in erster Linie ein Leviathan gegenüber, der viele gesellschaftliche Freiheiten unterbindet. Die gesetzlichen Regelungen zu Tieren in unserer Gesellschaft zeigen ganz klar, dass Tieren ganz bewusst der Stempel der industriellen Verwertbarkeit aufgedrückt wurde und sie juristisch über sachenrechtliche Konfigurationen gezielt den Eigentumsprinzipien des Marktes unterworfen wurden.
Solange Kapitaleigner von Tierausbeutung profitieren wird diese Lobby niemals eine bedeutsame rechtliche Besserung der Stellung tierischen Lebens im Rechtssystem zulassen.
Somit lässt sich Horkheimers Maxime durchaus ebenso auf die Tierausbeutungsmaschinerie übertragen und es bleibt festzustellen „Wer vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch zur Tierausbeutung schweigen.“