In diesem Buch beschreibt Richard Ryder, Professor für Psychologie an der Tulane Universität und derjenige, der das Wort "Speziesismus"
(zu deutsch etwa: „Artenarroganz“) im Jahr 1970 erstmals eingeführt hat, in sehr überzeugender Weise die Geschichte der Tierrechtsbewegung. Viele neue
Aspekte werden beleuchtet, die bisher nicht in diesem Zusammenhang aufgezeigt wurden. Ryder ist auch bemüht sich nicht auf England zu beschränken, aber aufgrund der Vorreiterrolle von England in
der modernen Tierrechtsbewegung bleibt ihm oft nichts anderes übrig.
Ryder's Stil ist erfrischend anti-speziesistisch und durch und durch tierrechtlerisch. So erklärt er am Anfang, dass es notwendig ist eine speziesismenfreie
Sprache zu benutzen:
"Die Verwendung des Wortes ‚Tier' als Gegenstück zum Wort ‚Mensch' ist offensichtlich ein Ausdruck von Vorurteilen". So
begründet er, dass er im folgenden immer "nicht-menschliche Tiere" oder "Nicht-Menschen" (nonhumans) als Begriffe benutzt. Der Titel "Animal Revolution" spricht absichtlich von "Tier" im
allgemeinen, weil die von Ryder hier beschriebene Revolution eben auch Menschen mit einbezieht, wie er betont.
Ryder unterscheidet nicht wirklich zwischen Tierschutz und Tierrecht. Für ihn sind Tierschutzgedanken, die nicht in Tierrechte münden, einfach nicht
konsequent zuende gedacht. Aber sie hätten letztendlich dieselbe Motivation und wären daher im Kern dasselbe. Er spricht sich gegen eine, wie er sagt, "künstliche" Abgrenzung von Tierschutz und
Tierrecht aus.
Ryder unterschätzt in meinen Augen die Wichtigkeit der Rolle vereinsunabhängiger Basisaktivitäten in der Tierrechtsbewegung. Seine Geschichte der
Tierrechtsrevolution ist praktisch ausschließlich auf die Aktivitäten von Gruppen beschränkt, die nicht-anonym und öffentlich anerkannt sind. Die Hillgrove Farm Kampagne z.B. erwähnt er nur in
einem Nebensatz, andere Kampagnen von Basistierrechtsgruppen überhaupt nicht. Die JagdsaboteurInnen und die ALF werden aber immerhin als Gruppen diskutiert.
Zur Gewaltfrage äußert sich Ryder sehr zurückhaltend. Er wirft aber die Frage auf, wie TierexperimentatorInnen einerseits vorgeben könnten, sie müßten Gewalt
gegen Versuchstiere ausüben, um anderen Lebewesen zu helfen, aber andererseits Unverständnis zeigen, wenn gewaltbereite TierrechtsaktivistInnen ebenso meinen, sie müßten auch Gewalt (gegen
TierexperimentatorInnen) ausüben, um anderen Lebewesen (Versuchstieren) zu helfen. Ryder sieht auch einen Widerspruch in der öffentlichen Meinung zwischen der Nicht-Akzeptanz von Gewalt im Rahmen
der Tierbefreiungsbewegung, aber der vollen Anerkennung von Gewalt bei der Sklavenbefreiung oder dem Freiheitskampf des ANC in Südafrika.
Ryder versucht seine Ansicht von Tierrechten als neue Philosophie, genannt "Painismus" (von pain = Schmerz), dem Utilitarismus von Singer und der
Rechtstheorie von Regan an die Seite zu stellen. Ryder meint, dass alle Lebewesen, die Schmerz empfinden können, ethisch als Individuen zu berücksichtigen sind, darin hätte Singer recht, aber,
dass sich diese Schmerzen und das Leiden von verschiedenen Lebewesen nicht utilitaristisch addieren oder gar gegen die Freuden anderer Individuen aufrechnen liessen, worin Regan recht
hätte.
Ryder ist sich aber bewusst, dass keine allgemeinen moralischen Regeln jede praktische Situation eindeutig in ethisch falsch und richtig einteilen lassen. Er
vermeidet daher den Begriff "Tierrechte", genauso wie übrigens den Begriff "Menschenrechte", in seinem moralischen Konzept, obwohl er von der Tierrechtsbewegung als sozialer Bewegung spricht usw.
Also formuliert er 5 Grundsatzregeln, die Hilfestellung geben sollen, ethische Probleme in der Praxis zu entscheiden. Diese 5 Regeln sind:
1) Speziesismus ist immer falsch. Handle so, als ob menschliches und nicht-menschliches Leiden völlig gleiches ethisches Gewicht haben.
2) Die Addition von Leiden oder Freuden verschiedener Individuen ist bedeutungslos. Handle so, als ob das Leiden vieler um nichts mehr zählt als das gleiche
Leiden eines einzelnen Individuums.
3) Das primäre Ziel moralischer Handlungen sollte also immer jenes Individuum sein, das am meisten leidet.
4) Es ist immer moralisch falsch, einem Individuum Leiden zuzufügen, um einem anderen Individuum dadurch Freuden zu verschaffen.
5) Es ist immer moralisch falsch einem Individuum lange, schwere Leiden zuzufügen, was auch immer der Vorteil für andere Individuen dadurch
wäre.
Das zentrale Element von Ryders Zugang zu Tierrechten ist das Mitleid. Nach Ryder handelt es sich dabei sogar um einen Instinkt. Überhaupt scheint mir, dass
Ryder den Begriff "Instinkt" ein bisschen zu leichtfertig und inflationär verwendet. Aber für ihn sind Instinkte keine Handlungsabläufe, die dem Individuum zwingend vorgegeben sind, sondern
bestenfalls durch Gefühle nahegelegt werden. Ryder sieht diesbezüglich keinen Unterschied zwischen Menschen und anderen Tieren. Er meint also, um Tierrechte (auch und gerade legislativ)
durchzusetzen bedarf es der forcierten Erziehung zum Mitleid, und der gesellschaftlichen Ächtung aller Faktoren, die diese emotionale Entwicklung zum Mitleid verhindern. Als solchen das Mitleid
verhindernden emotionalen Faktor sieht Ryder das Machotum, das sich über Zimperlichkeit bzw. Empfindlichkeit ("squeamnishness") lächerlich macht. Aber auch Sadismus und der "Instinkt" andere zu
dominieren gehören nach Ryder in diese Kategorie, genauso wie das Bedürfnis Unterdrückter ihre Frustrationen an denen, die in der gesellschaftlichen Hierarchie unter ihnen stehen, auszulassen.
Man könne diese Instinkte und Emotionen schon in Kindern sehen, müsse das aber durch geschickte Erziehung steuern.
Ryder meint, dass ausser dem Christentum alle Weltreligionen Respekt vor nicht-menschlichen Tieren um ihrer selbst Willen in der einen oder anderen Form
gepredigt hätten. Daher sei es besonders paradox, dass die heutige Tierrechtsbewegung in erster Linie von traditionell christlichen Ländern getragen werde. Aber dafür sei eben in erster Linie der
steigende Wohlstand und die Verstädterung des Lebens verantwortlich. Das Gefühl der persönlichen Sicherheit (also ein Leben ohne Krieg) und die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung, die die
nahe Verwandtschaft der Menschen mit anderen Tieren unterstrichen, wären dabei auch wichtig gewesen.
Ryder bezieht sich in seinen Tierrechtsargumenten sehr auf die Darwin'schen Ideen der Evolution. Auf die Frage ob nicht dann der Stärkere das Recht hätte,
auf Kosten des Schwächeren zu (über)leben, antwortet er u.a., dass "survival of the fittest" nicht bedeutet, dass der Stärkste, Egoistischste oder Rücksichtsloseste überlebt. Die Umwelt gibt vor,
was "fit" hier bedeutet, und das könnte heutzutage gut das Gegenteil von aggressiv, macho, egoistisch oder rücksichtslos sein.
Tierrechte bedeuten nach Ryder nicht, dass jeder Mensch alle Tiere lieben muss. Wenn man die moralischen Pflichten der Gerechtigkeit und des Respektierens
anderer befolgt, dann sollte das unabhängig von persönlichen Vorlieben oder Gefühlen sein. Man müsse keine Boa-Konstriktor lieben um ihr Recht auf freie Selbstentfaltung
anzuerkennen.
Der nächste wichtige Schritt in der Tierrechtsrevolution sollte nach Ryder sein, die Gesetze insofern zu ändern, dass sie sich der Logik des
Anti-Speziesismus anpassen und, mehr und mehr, die Rechte nicht-menschlicher Tiere auf Leben, Freiheit und Selbstentfaltung anerkennen. Unter den Freiheiten, die nicht-menschliche Tiere haben
sollten, ist auch die, frei von der Ausbeutung durch Menschen zu sein.
"Über die Idee der Tierbefreiung kann man sich zwar leicht lächerlich machen, aber es ist nur sehr schwer rational dagegen zu argumentieren", meint Ryder
wörtlich. "Es ist sogar so schwer rational dagegen zu argumentieren, dass einer der ganz wenigen Philosophen, die das probiert haben, nämlich Michael Fox aus Ontario, Kanada, mittlerweile
öffentlich seine Ansicht widerrief."