Haustiere
Der Wunsch, ein Tier zu halten, entspringt meist einem uralten Grundmotiv, nämlich der Sehnsucht des Kulturmenschen nach dem verlorenen Paradies der freien Kultur.
(Konrad Lorenz)
Linktipp:
http://www.youtube.com/watch?v=6pzH4qyirGE&feature=related
Infoflyer:
Die „Lebenswirklichkeit der Tiere [...] ist immer eine von Menschen geformte“. Die „tierlichen Individuen [sind] an keinem Ort vom Sozialen „unberührt“; sie bleiben immer Tiere einer Gesellschaft von Menschen.“ Weiter sind die „Tiere“ eine sozial konstruierte Klasse, welche mittels körperlicher Gewalt unterdrückt und versklavt wird, um als „Verfügungsressource menschlicher Zwecke zu dienen“. Damit ist die Situation der Tiere in der menschlichen Gesellschaft, die ihnen „Naturzustand“ ist, zu erfassen als permanenter „Notstand“.
(Quelle: Das steinerne Herz der Unendlichkeit erweichen - Hrsg. Susan Witt-Stahl)
Vor fast 100 Jahren schrieb Clara Wichmann (* 1885 † 1922 war eine deutsche Juristin, Publizistin, Pazifistin und Vertreterin des Anarchosyndikalismus) folgende Worte, die die heutige Tierrechtsposition in Bezug auf 'Haustiere' am besten widerspiegelt. Im Folgenden die wichtigsten Auszüge aus ihrem Werk:
Die Rechtsstellung der Haustiere
(1920) von Clara Wichmann
Vor gut zehn Jahren hat an einer unserer Hochschulen ein Doktorand der Rechte die folgende Behauptung aufgestellt: „Junge Störche, die nicht fliegen können, sind das Eigentum des Eigentümers des Nestes“. Sein Anliegen war wahrscheinlich, so zu zeigen, dass junge Störche nicht einfach geschossen werden dürfen (es war die Zeit vor dem Gesetz über die Vögel von 1912), sondern anstelle dessen der Macht und Willkür des Bauern oder Hausbesitzers ausgeliefert sind. Bei der Promotion jedoch warf einer der Professoren unerwartete Bedenken auf: „Aber, Herr X., wen verstehen Sie denn unter dem Eigentümer des Storchennestes? Die Eigentümer des Storchennestes sind meiner Ansicht nach die alten Störche!“
Dieser Einwurf, in offenem Widerspruch zu allen Überlieferungen des „Bürgerlichen Rechts“, zu dessen fundamentalsten Grundsätzen es doch gehört, dass Tiere keine Rechte haben, war von diesem Hochschullehrer wohl als Scherz gemeint. Aber er lässt uns, wenn wir für eine solche Einsicht zugänglich sind, den Widerspruch zwischen „bürgerlichem“ und „natürlichem“ Recht deutlich bewusst werden. Schließlich: Warum ist es nur ein Scherz, zu sagen, dass ein Storchennest eigentlich den Störchen gehört?
Aber nun sind solche Eigentumsfragen noch nicht das Schlimmste. Es mag wohl fatal für ein Haustier oder ein halbes Haustier sein, wenn der Mensch, ungeachtet des bei höheren Tieren ausgeprägten Gefühls vom Recht auf besondere Gebrauchsgegenstände, sich im Falle eines Eigentumskonfliktes mir diesem Tier nicht allein die Macht, sondern auch das Recht zuerkennt – solche Konflikte gehören zu dem gewohnten Kampf ums Dasein in der Tierwelt, all dieses lässt noch nicht unbedingt das Recht verschwinden. Schlimmer als das Verkennen der Tiere im Sachrecht ist das vollkommene Fehlen ihres „Personenrechtes“ - ist die vollkommen unsichere und rechtlose „Rechts“-position gerade der Haustiere.
Gerade die Haustiere, sage ich, denn ihre mit den Menschen verbundene Lebensweise erfordert mehr als die der wilden Tiere eine eigene Rechtsposition. Die Tiere in der Wildnis haben ihre eigenen gewohnten Rechtsregeln, woran sie, wie man aus den Berichten vieler Forscher ableiten kann, ebenso gebunden sind, wie die Menschen an die ihrigen. Aber die Haustiere leben unter Fremdenrecht, ebenso wie die Heloten, die dem spartanischen Recht oder wie die unterworfenen Kelten, die dem germanischen Recht gehorchen mussten.
Es ist eine Tatsache, dass der Mensch gegenüber den wild lebenden Tieren eine Art von Kriegs-„recht“ anwendet: das Recht des Stärkeren ohne Gnade – nur bei einzelnen und in individuellen Fällen etwas durch Mitleid abgemildert und gegenwärtig für einen sehr kleinen Teil der (in Menschenaugen) „nützlichen“ Tiere durch einige Gesetzesartikel ein klein wenig eingeschränkt. Aber dasselbe völlige Verfügungsrecht – als wenn das Tier eine Sache wäre -, maßt der Mensch sich nicht nur gegenüber den Tieren an, mit denen er im Kriegszustand ist, sondern auch gegenüber den Haustieren, mit denen er angeblich auf freundschaftlichem Fuße steht.
Und diese sind durch ihre ökonomischen Umstände unendlich viel machtloser als die wilden Tiere, die ja ökonomisch von dem Menschen unabhängig sind. Vielleicht kann man die armselige Rechtsstellung der Haustiere unmittelbar mit ihrer abhängigen ökonomischen Stellung in Zusammenhang bringen – und bei näherem Hinsehen wird man eine gewisse Ähnlichkeit mit der ökonomischen und der rechtlichen Position der Frau – wie sie Jahrhunderte lang bestand – erkennen.
Und alle die inneren Widersprüche und ungeheuren Missstände in der „Rechts“-stellung der Haustiere kommen daher, dass man ihnen gegenüber (wie früher gegenüber den Sklaven und in einem weiteren Sinne auch gegenüber den Frauen) von der Fiktion ausgeht, sie wären Sklaven.
Haustiere können verkauft werden. Hunde können verkauft werden, Katzen können verkauft werden, Pferde können verkauft werden. Das bedeutet: während namentlich Hunde und Pferde ihr Verhältnis zu ihren „Meistern“ als ein persönliches Verhältnis empfinden, für sie das wichtigste in ihrem Leben, für eine Hündin wichtiger als selbst das zu ihren eigenen Jungen, wird dies von uns als ein sachenrechtliches Verhältnis angesehen. Bei der einen oder anderen finanziellen Schwierigkeit wird roh und ohne Nachdenken ein Verhältnis zerrissen – und kaum eine Menschenseele, die das Schändliche darin sieht.
Man wird mir antworten, dass es vielen Haustieren doch nicht schlecht geht. Schlecht sicher nicht; es gab früher ja auch Sklaven, die „es sehr gut hatten“, weil sie zufällig das Glück gehabt hatten, auf einen guten Sklavenhalter zu „treffen“. Aber mehr als ein Zufallstreffer war es auch nicht, die Wahl hatten sie doch keineswegs. Und wenn sie einen abscheulich schlechten Herrn haben, sind sie gesetzlich verpflichtet, ihn bis an das Ende ihrer Tage zu ertragen – denn sie haben noch nicht einmal das Recht wegzulaufen. Da diese lebenden und fühlenden Wesen jedoch als Sache angesehen werden, kann der Eigentümer sie zurückholen oder zurückfordern. Ein Rechtsinstitut, vergleichbar dem der Entlassung aus der elterlichen Macht oder Vormundschaft oder ihrer Aufhebung fehlt gänzlich gegenüber Eigentümern, die ihre Tiere verwahrlosen lassen oder systematisch misshandeln. Wohl kann jetzt bei Verurteilung wegen Tiermisshandlung nach Art. 254 Wet. v. Strafr. seit der Gesetzesänderung vom April 1920 S. 194 die Beschlagnahme des misshandelten Tieres verfügt werden. Aber jeder, der die Artikel 33-35 W.v.Str., die die Beschlagnahme regeln, sowie den damit in Verbindung stehenden Beschluss vom 30. Sept. 1862 S. 176, „Bestimmungen bezüglich der Beschlagnahme zugunsten des Staates und andere auf Gerichtsbeschlüssen beruhende Gegenstände“, durchliest, wird erkennen, dass diese Beschlagnahmeregelung absolut nicht auf lebende Tiere berechnet ist.
Ich kann nicht vergessen, was ich einmal in Veluwe erlebt habe. Eine Ziege hatte ein Junges bekommen. Am folgenden Tag hörten wir die alte Geis kläglich jammern. Wir gingen hin und fragten die Bäuerin, warum. Sie sagte: "Ich habe ide junge Ziege in die Stadt verkauft, weil ich es so schade um die Milch fand." - Leser, ich frage Sie: für wen hat 'unser lieber Herr' die Milch der Ziege bestimmt, wenn nicht für die kleine Ziege? Aber diese Bestimmung fand die Bäuerin (und es war keine arme Bäuerin) "schade".
So sehen Sie, es geht um etwas ganz anderes als um einige "Auswüchse"; es geht um eine grundlegende innere Umstellung des menschlichen Verhaltens gegenüber den Tieren. Um die Umwandlung der alten Gewohnheit, die Tiere als eine Sache anzusehen, die Adam gegeben wurde, um daraus Profit und Annehmlichkeiten zu schlagen.
Juli 1920
LITERATUREMPFEHLUNG
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